Glossar: Freie Szene – Lisa Benjes

Die Koalition der Freien Szene, die sich 2012 in Berlin zusammenschloss, um spartenübergreifend die Interessen ihrer Akteur*innen gegenüber der Kulturpolitik zu vertreten, definiert den Begriff Freie Szene wie folgt: „Die Gesamtheit aller in Berlin frei Kunst schaffenden KünstlerInnen, Ensembles, Einrichtungen und Strukturen in freier Trägerschaft aus den Bereichen Bildende Kunst, Tanz, Schauspiel, Performance, Neue Medien, Musik von alter Musik über Jazz, Echtzeitmusik und Klangkunst bis neue Musik, Musiktheater, Kinder- und Jugendtheater, Literatur sowie alle spartenübergreifenden und transdisziplinären künstlerischen Arbeiten.“

Diese Definition gibt vor allem Aufschluss darüber, wer der Freien Szene angehört. Prinzipiell dürfen sich alle Kulturschaffenden dazu zählen, die ohne institutionelle Förderung und auf der Grundlage bestimmter Zielvorstellungen, Anliegen und Visionen selbstbestimmt und autonom Kultur entstehen lassen. Eine inhaltliche Begriffserklärung gestaltet sich weit schwerer, da sich für jede begriffliche Festsetzung in der Praxis Gegenbeispiele finden lassen. Vielmehr scheint gerade die flüchtige Dynamik der Szene begriffsbestimmend zu sein. Die Freie Szene lebt von Eigenmitteln und punktuellen Förderungen, um die sich kontinuierlich bemüht werden muss. Im Zuge dessen stellt sich die Frage, ob künstlerische Freiheiten aufgegeben werden müssen, um an gewisse Fördertöpfe zu gelangen. Die Antwort liegt wohl im Mittelweg zwischen Treue der eigenen künstlerischen Idee und der Erfüllung von Förderkriterien. Irreführend ist der Versuch einer Begriffsklärung aus der Dichotomie von „frei“ bzw. „autonom“ und „gebunden“ bzw. „heteronom“. Die klare Abgrenzung von der sogenannten etablierten Szene wird der Tatsache nicht gerecht, dass es zahlreiche fruchtbare Schnittstellen gibt, wie beispielsweise die Werkstatt der Staatsoper im Schillertheater.

Zum kulturellen Stellenwert der Freien Szene hat Dr. Gisela Nauck erstmals eine spannende Perspektive aufgemacht: „Die soziale Trägerschicht der neuen oder zeitgenössischen Musik sind längst nicht mehr die Konzerthäuser, Orchester, Opernhäuser samt Belegschaft; es sind die freien Ensembles mit ihrer komplexen Basisstruktur und einem Netzwerk unterschiedlichster Veranstaltungen, Orte und Förderer. Zur sozialen Trägerschicht zeitgenössischer Musikkultur im 21. Jahrhundert entwickelte sich – im stetigen Anwachsen – die Freie Szene. (…) Als die eigentliche innovative Kraft des 20./21. Jahrhunderts hat sie dem bürgerlichen Modell von Musikkultur ein zeitgenössisches Modell an die Seite gestellt, dessen charakteristische Flexibilität, Kreativität und Offenheit jene bürgerlichen Strukturen mit dem Stempel des Museale versehen hat.“

Lisa Benjes

Weiterführende Informationen zum Thema finden sich in der Novemberausgabe 2016 der positionen. Texte zur aktuellen Musik, die der Freien Szene gewidmet ist.